Helga Hoffmann kümmert sich als Familienbegleiterin um Kinder, deren Mutter oder Vater schwer krank ist
Am liebsten spielt Hanna* Memory mit mir. Seit Mai unterstütze ich die Neunjährige. Ihre alleinerziehende Mutter ist an Krebs erkrankt. Wann immer es nötig ist, kümmere ich mich um das Mädchen. Im Moment scheint die Mutter auf einem guten Weg zu sein. Durch Chemotherapie und Bestrahlungen sind die Tumore in Brust und Lunge zurückgegangen. Ob sie wieder ganz gesund wird? Häufig sagt die Mutter zu ihrer Tochter: Die Mama stirbt nicht.“ Aber ich denke, Hanna weiß, dass sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben verlieren könnte. Direkt nach dem Tod fragt die Kleine noch nicht. Und solange sie nicht fragt, werde ich das Thema auch nicht ansprechen.
Leider macht die Corona-Pandemie derzeit vieles schwieriger. Ich darf das Mädchen nicht tröstend in die Arme nehmen und nur mit ihm spielen, wenn die Maske aus ist und der Abstand gewahrt bleibt. Trotzdem bleibt ein Risiko. Eines, das wir eingehen müssen. Denn Hanna braucht mich, wenn ihre Mutter einen ihrer vielen Arzttermine hat.
Nicht alle geschulten Begleiterinnen geben der betreuten Familie ihre private Handynummer. Mich dürfen Hanna und ihre Mutter jederzeit anrufen. Natürlich habe ich in meiner Ausbildung gelernt, dass ich trotz Mitgefühls eine gewisse Distanz wahren muss. Auch wenn ich nicht zur Familie gehöre: Ich will für Hanna und ihre Mama da sein, solange sie mich brauchen. Dieses Engagement ist meine Art, Danke zu sagen für all das Gute, das ich in meinem Leben erfahren durfte. Ich komme aus einer sehr sozial eingestellten Familie, in der die Frage nie lautete, ob man sich engagiert, sondern nur, wo und wie. Mein eigener Vater ist an einem Heiligabend völlig überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Seit dieser Zeit weiß ich, wie hilflos und hilfesuchend Menschen in einem solchen Moment sind.
Kinder, deren Eltern schwer krank sind, befinden sich in einem Ausnahmezustand. Wir Familienbegleiterinnen spielen mit ihnen, holen sie von der Schule oder dem Kindergarten ab, kochen, helfen bei den Schularbeiten und machen gemeinsame Ausflüge. Damit helfen wir, das fragile Mobile „Familie“ in einer schweren Situation so stabil wie möglich zu halten. Und kommt es zum Äußersten – zum Tod von Mutter oder Vater -, gehen wir mit zur Beerdigung und stehen dem Kind so lange zur Seite, bis es in seinem eigenen Leben wieder angekommen ist.
*Der Name des Mädchens wurde von der Redaktion geändert.
Helga Hoffmann arbeitet ehrenamtlich seit vielen Jahren bei der Ambulanten ökumenischen Hospizhilfe Siegen e.V. und engagiert sich für Kinder, deren Eltern lebensbedrohlich erkrankt sind, im Caritas-Projekt „Hörst du mich?“
Vielen Dank an Annette Lübbers für die Veröffentlichung dieses Berichts im Publik-Forum.
www.luebbers-journalistin.de